Als ich am ersten Tag in Pikpa angekommen bin, war es die Aufgabe der Volunteers ein Haus einer Familie zu putzen welche die Insel verlassen durfte und auf dem Weg nach Athen war, wo ihr Fall weiter untersucht wird. Als ich aber die Tür öffnete und in das Haus eintrat, machte ich direkt wieder einen Schritt rückwärts. Mich traf fast der Schlag, das kleine Holzhaus, in dem die Familie mit vier Kindern wohnte, war das heilloseste und abstossenste Durcheinander, dass ich je gesehen hatte. Unzählige kaputte Spiel- zeuge, Kleider und Schuhe, zerbrochene Stifte, gebrauchte Windeln, vergammeltes Essen, eingenässte Matratzen, verschmierte Wände um nur ein paar der Eindrücke zu nennen. Mir schaudert immer noch, wenn ich daran denke. Wir fingen an zu putzen. Nach einer Weile fing eine leise Stimme in meinem Kopf an, Fragen zu stellen: Was dachte sich die Familie denn dabei, ihre Kinder Spielzeuge kaputtmachen zu lassen, die andere vielleicht auch gerne hätte?
Was wenn sie das Essen vergammeln lassen das andere auch dringend nötig hätten? Wieso horten sie unzählige Schuhe, die andere auch brauchen könnten? Wieso verrichten sie ihr Geschäft in einer Ecke des Hauses, in dem später andere Leute wohnen werden, statt auf die Toilette zu gehen? Die Stimme wurde mit der Zeit und mit jeder neuen schimmligen Entdeckung immer lauter: Was denken die sich denn dabei einfach abzuhauen und nicht mal das Haus, das andere gerne hätten, einigermassen sauber und ordentlich zu hinterlassen? Und was die wohl für unerzogene Saubengel von Kindern haben?
Als die Gedanken unerträglich wurden und in Wut umschlugen, suchte ich mir jemanden zum Reden. Das Opfer war meine Mitvolunteerin vom Bashira, die auch Schweizerin ist und so konnte ich meinem ganzen Frust in einem Schwall Schweizerdeutsch Luft machen. Die Mitarbeiterin war schon ein Monat länger hier als ich. Sie sagte mir, sie könne mich zwar gut verstehen, sie versuche aber nicht zu urteilen, da sie ja nicht wisse, wie es der Familie psychisch ging, wie aktiv die Kinder waren und wie schnell die Familie an- reisen durfte/musste und ich habe ja keine Ahnung was sonst noch alles passiert ist auf ihrer Flucht oder vor Ort. Das sass. Und ich erinnerte mich daran wie verloren sich die Flüchtlinge fühlen mussten auf ihrer Reise ins Unbekannte, die Belastung und Angst kein Zuhause für die Kinder zu finden, zu frieren, zu hungern, dass das kein Produkt einer Naturkatastrophe ist, sondern der Menschheit, der Gesetzte, von Europa und wie gut ich es doch eigentlich habe. Und die Wut machte einer kleinen, leisen Träne der Scham platz, die über meine Wange lief. Ich realisierte, wie schlimm es denn den Bewohnern in Moria gehen muss, wenn es den Bewohnern des „kleinen Paradies“ Pikpa schon so schlecht ging. Also putzte ich den ganzen Tag wie wild, bis das Haus glänzte und strahlte und für die nächste Familie bereit war, und nahm mir vor nie mehr über Situationen andere Personen zu urteilen. (Dezember 2017 - April 2018)
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