Als ich am Morgen aufwachte, fühlte ich mich verkatert und ich war wütend. Wütend auf die Inselbewohner die schutzlose, verlorene Flüchtlinge angriffen, wütend auf die Polizisten, die sich auf die Seite der Angreifer schlugen, wütend auf den Demonstrationsanführer der Frauen und Kinder in einer solchen gewalttätigen Situation hielt und die, die Helfen wollten zurechtwies, wütend auf das Demonstrieren. Ich war wütend, auf die Flüchtlinge die Bauern die Ernte von Feld stahlen und die Regierung, die das überhaupt so weit kommen liess und ich war wütend nicht auf die Strass gehen zu können ohne zu wissen, wer beim Angriff dabei war und wer auf welcher Seite stand. Und ich war wütend, dass mir meine Wut nichts half. Als ich mich dann ordentlich hineingesteigert hatte, merkte ich, dass mich Wut wirklich nicht weiterbrachte und der Ursprung von eben genau solchen Angriffen, wie der, der letzten Nacht, war. Ich merkte auch, dass ich auch Verständnis hatte, und beschloss keine Partei zu ergreifen und mich weiterhin als Helfer zu sehen, denn ich hätte auch dem Verletzten Angreifer geholfen wenn niemand bei ihm gewesen wäre. Und ich hatte Verständnis für die Wut, den Frust, die Angst, die Unsicherheit und die Aussichtslosigkeit und die Ohnmacht von allen Seiten.

Also pflückte ich Blumen und stellte sie auf den bereits geräumten Platz, brachte eine Blume der Verkäuferin, die uns das Wasser für die Demonstranten so viel günstiger verkaufte und ich stellte eine Blume auf meinen Fenstersims um mich, wenn die Wut hochkam, daran zu erinnern, dass ich Verständnis hatte und die Wut niemandem half. Die Blume erinnerte mich aber auch daran, wie wenig ich hier in Lesbos ausrichten konnte, wie wenig ich überhaupt für die Situation der Flüchtlinge tun konnte. Und solange die Regierung nichts dagegen unternimmt, wird das auch so bleiben. Das war auch der Moment, in dem ich beschloss, die Insel bald zu verlassen und fokussierte für die letzten Wochen nur auf Projekte, die ich gut fand, mit positiv vorkamen und nachhaltig zu etwas führten. An meinem Geburtstag zum Beispiel beschloss ich dem Projekt „Home for all“ von Nikos und Katharina zu spenden und drückte ihnen den Betrag persönlich in die Hand. Nikos und Katharina sind ein griechisches Ehepaar, das ausserhalb von Mytilini ein Restaurant für Flüchtlinge betreibt. Sie holen täglich Flüchtlinge aus Moria und bringen sie zu sich ins Restaurant und kochen für sie. Die Besucher können sagen, was sie an Kleider in ihren Grössen, Hygieneprodukten, Spielsachen und so brauchen und die beiden und ihre Helfer organisieren das für sie und übergeben es beim nächsten Besuch. Am Abend nach dem Essen wird oft getanzt, Musik gemacht, gespielt und im Frühling und Sommer zusammen gebadet. Finanziert wird das ganze durch Freiwillige, die dort auf Spendenbasis essen und sonstige Spenden. Die Regierung sieht das Restaurant nicht gerne und versucht ihnen zu schaden, wo sie nur können, erzählte Nikos mal bei einem Besuch. Die beiden sind unglaublich stark und arbeiten fast Tag und Nacht um den Flüchtlingen ein kleines bisschen Zuhause-Gefühl zu vermitteln. Mit dem Geld konnte ich sie dabei unterstützen 60 neue Stühle, drei Tische, zwei Klimaanlagen, ein Essenwärmer und ein Waschbecken zu kaufen. Die beiden haben mittlerweile noch zwei weitere Standorte aufgebaut, wo sie essen ausgeben können. Als meine Zeit in Lesbos um war, fiel es mir natürlich auch diesmal nicht so leicht zu gehen, umso mehr da ich wusste, dass ich diesmal nicht so schnell wieder zurückkommen werde. Obwohl ich mit sicher war, dass es die richtige Entscheidung war zu gehen, da ich nicht mehr viel Kraft hatte die Geschehnisse mitzuerleben und mit anzuhören, war da wieder dieses komische Gefühl, einfach in ein Schiff einzusteigen und auf die nächste Insel fahren zu können, während Andere auf der Insel für unbestimmte Zeit festsitzen. Auf dem Nachhauseweg entschied ich mich noch für einen Halt in Athen, wo ich mich mit M* traf, den Jamaikaner mit dem ich in „Little happy Family“ zusammengearbeitet hatte. Auch er ist Flüchtling, doch hat er so grosse Probleme mit dem Rücken, dass er nicht weiterreisen konnte, aber aus dem UNHCR-Flüchtlingsprogramm rausfiel. Und somit ohne Unterstützung, Job und mit einem kaputten Rücken auf den Strassen Athens lebt. Er startete ein Crowdfunding-Projekt um sich wenigstens ein Wohnung oder ein Zimmer leisten zu können und ich überwies ihm eine Spende. Er brachte alles zusammen und hat jetzt wenigstens einen Platz zum leben. Auch zuhause in der Schweiz erhalte ich immer wieder Nachrichten von Freunden, die ihre Pass bekommen haben oder ihre Familien besuchen konnten, habe aber immer im Hinterkopf wie viele bei der Flucht oder in Camps ihr Leben verlieren, und wie viele wieder zurückgeschickt werden. Ich kann euch nicht annähernd alles erzählen was ich erlebt habe, hoffe aber trotzdem euch mit den Berichten einen Überblick gegeben zu haben, was auf Lesbos passiert und wie es sich anfühlt dort zu arbeiten. Die Lage in Lesbos, ist leider noch lange nicht in Ordnung und jetzt kommt wieder der Winter. Erwachsene und Kinder wohnen immer noch in Sommerzelten und haben keine warmen Duschen. Der Kampf dort auf Lesbos geht täglich weiter. (Dezember 2017 - April 2018)
*Namen zum Schutz der Menschen unkenntlich gemacht
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