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AutorenbildMilouMoon

Lesbos 7 - Kämpfe, Nan und Tränen

Während einer Woche gab es einen Selbstverteidigungskurs für Frauen. Ich durfte bei der Leitung mithelfen, ob- wohl ich dann eher zum menschlichen Boxsack mutierte, der jeden Abend mit blauen Flecken nach Hause ging. Ich lernte in dem Kurs vor allem, dass man extrem aufpas- sen musste, was man sagte und auch, dass die Sprache wirklich eine unglaubliche Barriere darstellen kann. Man konnte nicht kurz etwas erklären und dann weiterfahren, da es erst in drei bis vier verschiedene Sprachen übersetzt werden musste. So wurde mir auch bewusst, wie die vie- len Missverständnisse und Gerüchte entstehen konnten, mit denen Flüchtlinge, Organisationen und die Regierung kämpften und die unermüdlich zu noch mehr Problemen als nötig und als eh schon, vorhanden führte. Zudem, ist es nicht ganz ungefährlich einer Frau zu sagen, sie soll sich von gewalttätigen Männern fernhalten und lernen Nein zu sagen, wenn manche Frauen in Moria zum Beispiel mit ihren gewalttätigen Männern in einem Zelt leben, nicht durch die Polizei geschützt werden und es im Moment kein Weggehen gibt, weder von ihrem Mann noch von Moria und auch nicht von der Insel.


Nan und seine Stammgäste

Im Maintenance and Construction Team wurde inzwischen fleissig im Nan gearbeitet. Nan ist ein Restaurant, das durch die Gründer von Pikpa entstehen soll. Dort werden in Zukunft Bewohner von Pikpa kochen und servieren. Seit zwei Jahren wird immer wieder fleissig daran gearbeitet und ich durfte bei Feinschliff mit dabei sein. Auch das Probekochen ist schon über die Bühne gegangen und der ganze Menuplan wurde ausgiebig getestet. Leider kommt auch hier wieder di Bürokratie der Griechen in die Quere. Doch ich hoffe das bald ganz Pikpa nach dem Feierabend zu einander sagt: „Sieht man sich später im Nan auf ein Bier?“.

Neben der Arbeit in Pikpa habe ich angefangen, mit einem griechischen Paar eine Organisation zu gründen. Wir werden sie „Clean Wave“ nennen und wollen versuchen das Meer und die Strände, die durch die Flüchtlingskrise schrecklich verschmutzt sind, zu säubern und in einem nächsten Schritt den Abfall zu verwerten. Ich hoffe die Flüchtlinge dabei einbeziehen zu können und so dass sie nach ihrer Überfahrt von der Türkei, mit dem Meer wieder etwas mehr Frieden schliessen können.


Letzte Woche ist eine neue Familie angekommen. Der Vater half unermüdlich im Garten mit, da er der Meinung ist, dass die Bewohner in Pikpa auch was dazu beitragen können, dass es dort heimelig ist und nicht unbezahlte Volunteers von der ganzen Welt herkommen müssen, um die Arbeit zu erledigen. Ich bin immer noch beeindruckt von dieser unermüdlichen Positivität und Energie dieses Vaters, der die ganze Verantwortung für fünf Kinder und Frau hat und dem man den ganzen Stress und die Unsicherheit weder ansieht noch anmerkt. Das jüngste Kind der Familie ist ein Mädchen, Z*. Immer nach dem Kindergarten kam sie in den Garten und wollte helfen. Helfen war für sie dann aber eher Blumen pflücken und sie allen Frauen in die Haare stecken. Ich verbrachte viel Zeit mit ihr und an meinem letzten Tag in Pikpa versuchte ich ihr zu er- klären, dass ich abreisen werde, erfolglos. Für sie gab es kein Tschüss für mich, das kam gar nicht in Frage. Und was erkläre ich schon einem kleinen Mädchen, das alles hinter sich gelassen hatte, was Abschied bedeutet. Irgendwann kam dann doch der Moment und sie hatte bereits Tränen in den Augen, als ich auf sie zu ging. Ich versuchte es kurz und schmerzlos zu

machen, was mir aber nur halbpatzig gelang.

Z*s Tränen

Später schickte mir ihr Vater eine Nachricht, dass sie seit ich gegangen bin nicht mehr aufgehört hatte zu weinen und dann irgendwann in den Kleidern und mit Haarreif auf dem Kopf eingeschlafen ist. Ich lese die Nachricht immer und immer wieder durch und weiss nicht, ob ich mich schuldig, dankbar oder traurig fühlen soll. Wohl ein Mix von allem und erinnere mich daran, was ich in meinem ersten Bericht über die emotionale Nähe und Distanz geschrieben habe und weiss das ich Z* eine schöne Zeit schenken konnte, aber auch eine grosse Leere hinterlassen habe. Also sitze ich jetzt hier am Flughafen und habe viele Stücke meines Herzens in Lesbos bei so vielen liebevollen Menschen gelassen. Die mir gezeigt haben, dass es auch in kleinen Schritten geht, und friedlich und hilfsbereit und dankbar.


Ich habe eine Zeit lang erwartet, einen grossen Unterschied machen zu können. Doch alles was die Menschen, die in Lesbos „festsitzen“ wollen, ist Sicherheit, Frieden und ein Zuhause. Ich kann sie jedoch nicht beschützen, ich kann nicht ihre Familien hierherholen oder Tote zum Leben erwecken und ich kann auch keine Häuser bauen. Aber ich kann versuchen jeden Tag zu lächeln, freundlich zu sein, die Kinder ärgern und sie zum Lachen zu bringen, einen Sitzplatz zum Entspannen bauen, Wände streichen, Fussball spielen und bei alle den anderen, kleinen Schritte zu helfen, die das Leben auf der Flucht ein kleines bisschen positiver machen und zu einem grossen Ganzen führen können. (Dezember 2017 - April 2018)


*Namen zum Schutz der Menschen unkenntlich gemacht

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